Suchthilfen-Leiter Rainer Willibald verabschiedet
Fachleiterin Angelika Hipp-Streicher überreicht dem angehenden Ruheständler Rainer Willibald beim Abschiedsfest einen Geschenkkorb.Susanne Spill
Lieber Herr Willibald, Ihr erster Arbeitstag bei der Caritas war der 1. April 1992. Erzählen Sie uns, auf welche Etappen Sie zurückblicken, insbesondere, ab dem Zeitpunkt, als Sie als erster Leiter auf dritter Ebene den großen Dienst der Psychologischen Suchtberatung geleitet haben.
RAINER WILLIBALD: Ich habe 2001 die Leitung von Paul Geiger übernommen, damals gab es den Fachbereich Suchthilfen noch in beiden Landkreisen mit Beratungsstandorten in Friedrichshafen, Ravensburg und Wangen. Die wichtigsten Aufgabenbereiche waren zielgruppenspezifische, flächendeckende Grundversorgung mit einem Netz an Außenstellen, Weiterentwicklung Ambulante Reha, Differenzierung der Präventionsarbeit, breite Netzwerkarbeit mit Behörden und Selbsthilfeförderung und -kooperation, Kooperation mit anderen Diensten und Einrichtungen innerhalb und außerhalb der Caritas und die Mitwirkung beim Aufbau des Suchthilfenetzwerkes.
Im Jahr 2006 gab es einen Schnitt. Wir zogen um: In Abstimmung mit der Diakonie zogen wir uns aus dem Sozialraum in Friedrichshafen zurück und blieben in Ravensburg und Wangen. 2007 war ebenfalls ein einschneidendes Jahr: Wir haben den Treff27 in der Georgstraße aufgebaut als niederschwelligen Treff für Substituierte, mit direktem Anschluss an die Schwerpunktpraxis von Dr. Frank Matschinski im selben Gebäude. Ab 2010 habe ich den Aufbau der Kiesel-Stelle vorangetrieben, einer Projektstelle zur Förderung von Kindern von substituierten Eltern.
Welche Bedeutung hat die Suchthilfe-Arbeit für Sie?
Zehn Prozent aller Bürger sind laut DHS (Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen) von Sucht betroffen. Das sind bundesweit circa 8,5 Millionen, landkreisweit sind das etwa 28.000 Einwohner, das heißt, eine Stadt so groß wie Wangen mit allen Umlandgemeinden. Suchterkrankungen sind als sozialmedizinische Herausforderungen ganz oben anzusiedeln. Sucht, Süchtiges Verhalten, ist eine schwere chronisch, und oft tödlich verlaufende Erkrankung, die auch für Angehörige sehr destruktive Auswirkungen hat. Jeder kennt einen oder eine Süchtige und weiß aus eigener Erfahrung, wie schwer und vergeblich es ist zu helfen. Es gibt inzwischen gut erprobte, evaluierte und wirksame Behandlungskonzepte. Der Grundsatz "Ambulant vor stationär" setzt sich hier immer stärker durch, so dass auch alltagsbegleitende Hilfen Sinn machen. Hier mitzuwirken in der fachlichen Weiterentwicklung und am regionalen Versorgungssystem, hat mir immer großen Spaß gemacht. Dazu gehört im Vorfeld auch die differenzierte Präventionsarbeit und die qualifizierte Beratung. Suchthilfe macht nur Sinn in Netzwerken und im abgestimmten Verbund, da Sucht ein multifaktorielles Geschehen ist. Deshalb sind auch die Arbeit und das Denken und Handeln in Netzwerken so wichtig.
"Ihre Ideen und Ihr Engagement sind nicht nur in Oberschwaben sichtbar, sondern auch in den Best-Practice-Modellen des Deutschen Caritasverbandes", sagt Fachleiterin Angelika Hipp-Streicher.
Wenn Sie zurückblicken, was möchten Sie hervorheben? Was macht Sie stolz?
Die drei eigenständig agierenden Beratungsstellen in Friedrichshafen, Ravensburg und Wangen wurden in einen Fachbereich zusammengeführt und von mir ab 2001 verantwortet. Das Profil hat sich mit den Jahren stark verändert, vertieft und verbessert. In Baden-Württemberg waren wir über all die Jahre mit die größte ambulante Suchthilfeeinrichtung mit einem breiten Beratungs- und Behandlungsangebot. Wir konnten aufgrund der Größe auch etliche Projekte auf den Weg bringen, wie zum Beispiel ein Projekt für Spätaussiedler, Hilfen für Kinder von suchterkranken Eltern, den Treff27 und Vieles mehr.
Mit FoRaN waren wir als verbandliche Suchthilfe bundesweit die ersten, die mit einem qualifizierten Behandlungskonzept für Angehörige und Kinder in der ambulanten Reha bei der Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg als Regelangebot anerkannt wurden. Daneben haben wir mit etlichen fachlichen Innovationen neue Wege in der ambulanten Arbeit aufgezeigt. Das Selbsthilfenetzwerk wurde mit viel Energie begleitet, geschult und unterstützt, so dass wir hier auf eine vorbildliche Zusammenarbeit und Kultur über all die Jahre zurückblicken können. Hier sind unsere Ideen in Oberschwaben eingeflossen in eine Best-Practise-Expertise des Deutschen Caritasverbandes, an der ich mitgewirkt habe. Die Suchthilfen waren lange Zeit der größte Dienst bei der Caritas Bodensee-Oberschwaben.
Was haben Sie in Ihrer Arbeit gelernt, was Sie anderen mitgeben wollen?
Die eigene Sichtweise ist in Organisationen immer ein Teil des Ganzen, und das Ganze hat manchmal einen anderen Fokus, den man selbst nicht immer genau kennt. Hier habe ich Vertrauen gelernt, dass man als Mitarbeiter an der Basis im "Maschinenraum " nicht immer den Kurs des Dampfers kennen kann und auch versteht. Motivierte Kolleginnen und Kollegen, die überzeugt sind, fachlich gut qualifiziert und mit dem Herzen dabei sind, sind das Herzstück einer guten Arbeit. Die Sinnfrage in meiner Arbeit hat sich mir nie gestellt, die Aufgaben in der Suchthilfe gehen nicht aus, der Dienst und das Angebot ist ganz wichtig für betroffene Menschen, deshalb in Krisen nie aufgeben, sondern Kurs halten, flexibel, solidarisch und kreativ sein. Das "Danke" von Klienten war immer Richtschnur, dass die Arbeit Sinn gemacht hat und die Richtung stimmt.