Die ASB ist ein Ort der Perspektiventwicklung
Liebe Frau Roos, wie schnell bekommen Klientinnen und Klienten momentan einen Termin bei der Allgemeinen Sozialberatung?
Aktuell verzeichnen wir eine sehr hohe Nachfrage für die Allgemeine Sozialberatung an allen unseren Standorten. Die Situation gestaltet sich dabei je nach Standort unterschiedlich: In Ravensburg, wo ich als einzige Beraterin tätig bin, müssen Klient*innen derzeit mit Wartezeiten von etwa 3 bis 4 Wochen rechnen. In Bad Waldsee können wir dagegen deutlich schneller reagieren: Da meine Kollegin Anna Bertsch und ich uns die Beratungen teilen, erhalten Hilfesuchende hier in der Regel innerhalb einer Woche einen Termin. Wichtig ist mir zu betonen, dass wir an allen Standorten bei akuten Notfällen selbstverständlich auch kurzfristig Termine außerhalb der regulären Vergabe ermöglichen.
Was sind die Themen und Herausforderungen, die die Menschen gerade besonders belasten?
Die Menschen, die derzeit unsere Beratungsstelle aufsuchen, sind vor allem von finanziellen Sorgen stark belastet. Besonders die hohen Energiekosten und Nebenkostenabrechnungen stellen viele Haushalte vor große Herausforderungen. Häufig kommen Klient*innen zu uns, die aufgrund von geringem oder fehlendem Einkommen nicht einmal mehr Geld für grundlegende Bedürfnisse wie Lebensmittel haben. Ein weiterer Schwerpunkt unserer Beratung liegt in der Klärung sozialrechtlicher Fragen. Viele Menschen sind verunsichert und wissen nicht, welche Unterstützungsmöglichkeiten ihnen zustehen - sei es Bürgergeld, Erwerbsminderungsrente, Grundsicherung oder Wohngeld. Hier helfen wir, die passenden Leistungen zu identifizieren und unterstützen bei der Antragstellung. Zudem beobachten wir eine steigende Nachfrage nach Trennungs- und Scheidungsberatung. Diese Lebenskrisen bringen oft komplexe Herausforderungen mit sich, besonders wenn Kinder betroffen sind. Wir begleiten die Familien in dieser schwierigen Phase und helfen dabei, einvernehmliche Lösungen zu finden. Dabei ist es uns wichtig, alle Beteiligten - insbesondere die Kinder - bestmöglich zu unterstützen.
Die Beratungsarbeit wird zunehmend komplexer, die Nöte vielschichtiger - Nennen Sie Beispiele, wie Sie darauf reagieren können?
Die zunehmende Komplexität der Beratungsarbeit erfordert von uns ein breites Spektrum an Unterstützungsangeboten und methodischen Ansätzen. In meiner täglichen Arbeit setze ich auf eine ressourcenorientierte Beratung, bei der nicht nur die Probleme, sondern vor allem die Stärken und Potenziale der Klient*innen im Mittelpunkt stehen. Eine empathische, wertschätzende Grundhaltung ist dabei unverzichtbar - nur so können wir die oft vielschichtigen Problemlagen ganzheitlich erfassen und gemeinsam Lösungswege entwickeln.
Die praktische Unterstützung umfasst sowohl sozialrechtliche Beratung als auch die Vermittlung zu spezialisierten Fachdiensten. In Krisensituationen bieten wir schnelle, unbürokratische Hilfe an. Methodisch greifen wir auf verschiedene Beratungsansätze zurück: Die systemische Beratung bezieht das gesamte soziale Umfeld mit ein, verhaltensmodifizierende Ansätze helfen bei der Überwindung problematischer Verhaltensmuster, und die prozessorientierte Beratung ermöglicht ein strukturiertes Vorgehen mit klaren Zielen. Wichtig ist dabei, die eigenen fachlichen Grenzen zu kennen und bei Bedarf weitere professionelle Unterstützung hinzuzuziehen, wie beispielsweise die Kolleg*innen der Suchtberatung oder der psychologischen Familien- und Lebensberatung. Diese Vielfalt an Methoden und Angeboten ermöglicht es uns, flexibel auf die individuellen Bedürfnisse unserer Klient*innen zu reagieren und passgenaue Hilfe anzubieten.
Die Inanspruchnahme von Sozialberatung ist kein Zeichen von persönlichem Versagen, sondern ein mutiger und aktiver Schritt zur Verbesserung der eigenen Lebenssituation. Die Beratung kann tatsächlich ein "Gamechanger" sein - ein Wendepunkt, an dem Menschen wieder Hoffnung schöpfen und neue Perspektiven für ihr Leben entwickeln.
Gibt es eine bestimmte Erwartungshaltung an die Sozialberatung, in dem Sinne, dass erwartet wird, dass eine Person schnell finanzielle Unterstützung erhält. Oder begegnet Ihnen in Ihrer täglichen Arbeit vor allem Scham, Verzweiflung und Perspektivlosigkeit, in der Sie die Menschen erst einmal auffangen müssen?
In der Allgemeinen Sozialberatung begegnen uns tatsächlich beide Seiten: Manche Klient*innen kommen mit der Erwartung einer schnellen finanziellen Soforthilfe zu uns. Die Realität der Beratungsarbeit ist jedoch vielschichtiger. Häufig treffen wir auf Menschen, die von tiefer Scham und Verzweiflung geprägt sind. Es kostet sie oft große Überwindung, überhaupt den ersten Schritt in unsere Beratungsstelle zu machen.
Unsere Aufgabe ist es, zunächst einen geschützten Raum zu schaffen, in dem sich die Menschen öffnen können. Wir begegnen ihnen auf Augenhöhe und nehmen sie mit all ihren Sorgen und Nöten an. Diese vertrauensvolle Atmosphäre ist die Basis für jeden erfolgreichen Beratungsprozess.
Die Allgemeine Sozialberatung ist dabei weit mehr als eine reine Notfallhilfe - sie ist ein Ort der Perspektiventwicklung. Gemeinsam mit den Klient*innen erarbeiten wir Wege aus ihrer prekären Lebenslage. Dies geschieht durch eine Kombination aus praktischer Unterstützung, wie der Vermittlung von Sozialleistungen, und der Stärkung der persönlichen Handlungsfähigkeit.
Wichtig ist mir zu betonen: Die Inanspruchnahme von Sozialberatung ist kein Zeichen von persönlichem Versagen, sondern ein mutiger und aktiver Schritt zur Verbesserung der eigenen Lebenssituation. Die Beratung kann tatsächlich ein "Gamechanger" sein - ein Wendepunkt, an dem Menschen wieder Hoffnung schöpfen und neue Perspektiven für ihr Leben entwickeln.
Erzählen Sie uns abschließend, was es mit dem Angebot "Einfach essen" auf sich hat.
"Einfach Essen" ist ein Begegnungsangebot im Haus der Katholischen Kirche in Ravensburg. Jeden Mittwoch von 11:30 bis 13:30 Uhr können Menschen in der Wilhelmstraße 2 ein günstiges Mittagessen mit Nachtisch, Kuchen und Kaffee genießen. Kinder essen dabei kostenfrei.
Das Besondere an diesem Angebot ist die Kombination aus gemeinsamem Essen und niederschwelliger Beratung. Als Sozialarbeiterin bin ich im 14-tägigen Rhythmus vor Ort und stehe als Ansprechpartnerin zur Verfügung. Die Menschen haben hier nicht nur die Möglichkeit, eine warme Mahlzeit in gemütlicher Atmosphäre einzunehmen, sondern können auch in ungezwungener Umgebung Unterstützung bei verschiedenen Anliegen erhalten. Das Angebot schafft einen geschützten Raum für Begegnung und Austausch. Die Gäste können hier Gemeinschaft erleben, ins Gespräch kommen oder einfach nur in angenehmer Atmosphäre verweilen. Die Kombination aus Mittagstisch und Beratungsangebot ermöglicht es, Menschen in schwierigen Lebenssituationen auf unkomplizierte Weise zu erreichen und ihnen Hilfestellung anzubieten. Außerhalb der Vesperkirchen-Zeit findet das Angebot regelmäßig statt und steht allen Menschen offen.
Vielen Dank für das Interview, Frau Roos!