Der beste Lehrer ist das Leben selbst
Natürliche Folgen: Wenn Sie Ihrem Kind die Folgen mancher eigener Entscheidungen zumuten, steht ihm das Leben selbst als Lehrer zur Seite.Pixabay
Wie oft versuchen Eltern gefühlt endlos, Ihre Kinder von sinnvollen Verhaltensweisen zu überzeugen. Irgendwann werden Sie als Eltern ärgerlich, dass Ihr Kind es einfach nicht einsehen will, werden ungeduldig und haben keine Lust, dasselbe immer und immer wieder zu sagen. Vielleicht wurden Sie selbst so erzogen, dass Ihre Eltern in solchen Momenten versucht haben, Sie mit Strafen zu dem Verhalten zu bewegen, das ihnen richtig erschien. Viele Eltern möchten sich heute gegen diesen Weg entscheiden und ihre Kinder gewaltfrei erziehen. Zum alternativen, nicht strafenden Umgang mit diesen Situationen gibt es im Kess-erziehen®-Programm die Idee, dem Kind die natürlichen Folgen seines Handelns einfach zuzumuten: Das Kind entscheidet letztendlich nach seinem eigenen Willen, trägt aber auch die natürlichen Folgen seiner Entscheidungen und wird, wenn diese für das Kind unangenehm sind, recht schnell lernen, was Sie ihm mühsam durch Ihre Überzeugungskraft zu vermitteln versuchen. Ihr Kind hat so sozusagen das Leben selbst als Lehrer an seiner Seite.
"Natürliche Folgen sind die aus einem Verhalten unmittelbar resultierenden Konsequenzen. Sie treten von alleine ein, ohne dass wir eingreifen. Sie sind sehr wirksam." (Kess-erziehen® Manual, 2003). Natürliche Folgen sind also zum Beispiel wenn Ihr Kind lange suchen muss, bis es wieder alle Teile des Brettspiels beisammen hat oder im schlimmsten Fall das Spiel gar nicht mehr spielen kann, weil Teile fehlen, nachdem es diese nicht nach dem Benutzen wieder aufgeräumt hat. Wenn Ihr Kind in der Schule hungrig bleibt, weil es das Brot eben doch vergessen hat. Wenn es den Bus verpasst und zu spät in die Schule kommt, weil es zu lange geschlafen hat. Wenn es friert, weil es sich zu kühl angezogen hat.
Wie geht es Ihnen, wenn Sie sich vorstellen, dass Sie Ihrem Kind all diese natürlichen Folgen zumuten? Viele Eltern fühlen sich verantwortlich, dem Kind ebensolche Konsequenzen zu ersparen und sehen es als ihre Aufgabe, das Kind schon im Voraus dazu zu bringen, sich so zu verhalten, dass all dies vermieden wird. Genau da kommt es zu der mühseligen Überzeugungsarbeit, die viele Eltern leisten.
Ja, tatsächlich gibt es Situationen, in denen die natürlichen Folgen für Ihr Kind unzumutbar sind, weil sie zu gefährlich oder zu folgenreich wären, wenn es sich zum Beispiel schwer verletzen könnte. Unzumutbar wäre auch, wenn die natürlichen Folgen so weit in der Zukunft liegen, dass das Kind diese nicht überblicken kann, z.B. dass es Karies bekommt, wenn es seine Zähne nicht putzt. Ebensowenig können Sie "einfach zusehen", wenn Ihr Kind mit seinem Verhalten die Rechte anderer ignoriert, z.B. etwas von anderen beschädigt oder die Mittagsruhe der Nachbarn stört. Hier ist es nicht möglich, einfach die natürlichen Folgen sprechen zu lassen, sondern es braucht andere, sog. "logische Folgen", mit denen Sie als Eltern einschreiten können, um dem Kind Konsequenzen für sein Verhalten zuzumuten. Diesem Thema werden wir uns im nächsten Artikel widmen.
Bei allem anderen können Sie sich fragen: ist es zumutbar, dass mein Kind diese natürliche Folge selbst zu spüren bekommt? Dass es sein Brettspiel nicht mehr spielen kann, weil es Teile verloren hat? Dass es in der Schule hungrig ist? Dass es einen Tag zu spät in die Schule kommt und vom Lehrer zurechtgewiesen wird? Dass es friert, weil es sich dann doch für das T-Shirt statt den Pullover entschieden hat?
Wenn Sie sich entscheiden, dass die natürliche Folge, die dem Verhalten Ihres Kindes folgt, zumutbar ist, können Sie sich zurücklehnen. Wichtig ist, dass Sie nun nicht einlenken, um Ihr Kind vor der natürlichen Folge zu bewahren oder dass Sie es wieder und wieder an die mögliche Konsequenz erinnern. Dies kann jedoch schwieriger sein als es zunächst klingt und benötigt vielleicht zunächst eine innere Auseinandersetzung mit Ihren Ansprüchen/Erwartungen an Sie selbst als Eltern (z.B. Ich muss mein Kind vor allem negativen schützen).
Wenn Sie sich aber entschieden haben, Ihrem Kind die Folgen seines Verhaltens zuzumuten, wird es diese erleben, ohne dass Sie weiter etwas dazu tun. Im besten Fall kommentieren Sie auch die Folge selbst nicht, zu groß ist die Gefahr, dass es die natürliche Folge durch Sätze wie "Siehst du, das passiert wenn du dich so verhältst" oder "Hättest du nur auf mich gehört" doch als Strafe empfindet. Dann rücken wieder Sie selbst als Problemlöser in den Vordergrund, der die Folgen hätte verhindern können, anstatt dass das Kind sich selbst verantwortlich für sein Handeln und die entsprechenden Folgen fühlt.
Die natürliche Folge, das Leben selbst, wird Ihrem Kind der beste Lehrer sein. Es wird bemerken, dass sein Verhalten nicht sinnvoll war, ohne dass es sich durch die Unterordnung unter Ihre Wünsche klein fühlt. Im Gegenteil, es wird sich selbstständig und selbstverantwortlich fühlen. Und Sie als Eltern haben sich ermüdende Diskussionen erspart, kann dies nicht für beide Seiten eine Win-Win-Situation sein?